Dialog

In­ter­view | „Politik muss den Weg weisen“

14-05-2020

In­ter­view | „Politik muss den Weg weisen“

NUTZ­TIER­HAL­TUNG. Über die Zu­kunft der Nutz­tier­hal­tung in Deutsch­land spricht der Franz-Jo­sef Hol­zen­kamp, Prä­si­dent des Deut­schen Raiff­eis­sen­ver­ban­des, im In­ter­view mit Pro­Agrar in Ems­tek.

Herr Holzenkamp, was sagen Sie Ihrem Sohn und seinen jungen Kollegen, wenn sie sich bei Ihnen Rat holen, ob sie noch in die Nutztierhaltung in Deutschland investieren sollen? Sehen Sie eine Zukunft?

Ja. Al­ler­dings müs­sen we­sent­li­che Stell­schrau­ben neu jus­tiert wer­den. Wir brau­chen wie­der eine Ver­läss­lich­keit für In­ves­ti­tio­nen. Wer heu­te neue Stäl­le nach al­len ge­for­der­ten Kri­te­ri­en und vor al­lem nach An­for­de­run­gen für mehr Tier­schutz baut, der muss si­cher sein, dass er in den nächs­ten 20 bis 25 Jah­ren dort auch sei­ne Nutz­tier­pro­duk­ti­on durch­füh­ren kann. Da ist die Po­li­tik ge­for­dert, sich heu­te mit al­len Markt­teil­neh­mern aus Land­wirt­schaft, Han­del und Fleisch­wirt­schaft auf Rah­men­be­din­gun­gen zu ei­ni­gen.

Sie sehen also eine Zukunft für die Tierhalter?

Wenn man es schafft, die Bau­ern ab­zu­ho­len, vor al­lem die jün­ge­ren, und ei­nen Weg ein­schlägt, den sie nach­voll­zie­hen kön­nen. Wir müs­sen uns in Deutsch­land klar­ma­chen, dass wir bei den An­for­de­run­gen aus Ge­sell­schaft und Po­li­tik und un­ter dem Ge­sichts­punkt Kos­ten den Wett­be­werb mit der eu­ro­päi­schen Kon­kur­renz z. B. aus Spa­ni­en nicht ge­win­nen kön­nen. Auf dem Welt­markt mit den kos­ten­güns­ti­gen Pro­duk­tio­nen aus Nord- und Süd­ame­ri­ka kön­nen wir oh­ne­hin nur schwer mit­hal­ten.

Was muss getan werden?

Wir müs­sen un­se­ren ei­ge­nen Weg­su­chen über eine Nutz­tier­stra­te­gie, die kein rei­ner Mas­sen­markt ist. Die In­itia­ti­ve Tier­wohl hat ge­zeigt, wie es geht. Sie ist ein Ein­stieg in eine zu­kunfts- und tier­wohlori­en­tier­te Tier­hal­tung. Sie wei­ter­zu­ent­wi­ckeln, kos­tet viel, viel Geld. Wir spre­chen da­bei nicht von Mil­lio­nen, wir spre­chen da­bei von Mil­li­ar­den. Und wir dür­fen nicht nur den Le­bens­mit­tel­ein­zel­han­del ein­be­zie­hen, son­dern müs­sen alle Dis­tri­bu­ti­ons­we­ge be­rück­sich­ti­gen. Sonst funk­tio­niert das nicht.

Glauben Sie, dass die Vorschläge der von der Bundesregierung berufenen Zukunftskommission Kompetenznetzwerk u. a. mit einer Fleischabgabe umgesetzt werden?

Die Vor­schlä­ge lie­gen jetzt auf dem Tisch. Dass dar­über dis­ku­tiert wer­den muss, ist doch ganz klar. Ich bin mit Jo­chen Bor­chert, dem Vor­sit­zen­den der Kom­mis­si­on, in gu­tem Kon­takt, aber ich glau­be, wir sind noch nicht durch mit dem The­ma. Es muss ge­lin­gen, den Markt­preis plus x zu rea­li­sie­ren, wenn der Bau­er auf mehr Tier­wohl um­stellt. 40 Cent pro Kilo bzw. 40 Euro pro Schwein ist eine mach­ba­re Grö­ße, die der Markt her­ge­ben soll­te. Da­für ist es aber not­wen­dig, dass wir in der Brei­te eine an­de­re Be­zah­lung be­kom­men und nicht nur auf die Edel­tei­le schau­en.

Woher soll das Geld kommen?

Das kann nur mit ei­nem Sys­tem wie der ITW funk­tio­nie­ren. Au­ßer­dem brau­chen wir ei­nen Ge­sell­schafts­ver­trag für eine zu­kunfts­fä­hi­ge Agrar­wirt­schaft. Die Po­li­tik ist ge­for­dert und muss für das Um­steu­ern nun eine ver­bind­li­che Fi­nan­zie­rung ge­währ­leis­ten. Der zu­sätz­li­che Be­trag, ob man es nun Ab­ga­be oder Ver­brauchs­steu­er nennt, muss in ei­nen Topf. Das geht nur über den Point of Sale.

Wieso am Point of Sale?

Das wäre das fairs­te Sys­tem. Wir brau­chen un­be­dingt ei­nen Weg, der so markt­kon­form wie nur eben mög­lich ist. Die Tier­hal­ter ha­ben die Nase voll von der Ali­men­tie­rung durch den Staat. Jede Be­din­gung, je­des Kri­te­ri­um für mehr Tier­wohl muss ein Preis­schild ha­ben. Nur so wer­den die Bau­ern wie­der in­ves­tie­ren, weil sie dann Si­cher­heit für ihre Pro­duk­ti­ons­ka­pa­zi­tä­ten ha­ben.

Und wie wollen Sie das organisieren?

Die Po­li­tik muss den Weg wei­sen und der Staat die Rah­men­be­din­gun­gen für ein Bran­chen­mo­dell schaf­fen. Die Bun­des­re­gie­rung muss nun Far­be be­ken­nen. Wenn nicht, müs­sen wir als Bran­che un­se­ren For­de­run­gen Nach­druck ver­lei­hen. Dazu braucht es eine ge­mein­sa­me Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stra­te­gie, die dann auch kraft­voll um­ge­setzt wird. Ähn­lich wie wir das mit der CMA schon hat­ten.

Damit hätten Sie dann ein System installiert, das allerdings ausschließlich für den Heimatmarkt bestimmt wäre. Wie wollen Sie die Produktion für die internationalen Märkte da herauslösen?

In­dem sich die Bran­che all­ge­mein zu ei­nem Mehr an Tier­wohl hin ent­wi­ckelt, steigt na­tür­lich der all­ge­mei­ne Stan­dard. Durch eine Ab­ga­be am Point of Sale wird der Ex­port nicht be­las­tet. Im Übri­gen steht „Made in Ger­ma­ny“ für Qua­li­tät.

Welche Dinge würden Sie außerdem unbedingt geregelt wissen wollen?

Wir müs­sen uns auf Leit­kri­te­ri­en ver­stän­di­gen und die Ziel­kon­flik­te Öko­no­mie und Öko­lo­gie auf­lö­sen. Da­für be­darf es ehr­li­cher Dis­kus­sio­nen, die eine An­pas­sung von Bau-, Um­welt- und Emis­si­ons­recht be­inhal­ten. Dazu ge­hört na­tür­lich auch die Ab­wä­gung zwi­schen Tier­wohl und Emis­sio­nen bei der For­de­rung nach Au­ßen­be­rei­chen im Stall­bau. Wir müs­sen ehr­lich sein: Das wird zu hö­he­ren Be­las­tun­gen der Luft füh­ren.

Wie schnell gibt es eine Verständigung für einen neuen Weg in der Tierhaltung?

Wir sind an ei­nem Schei­de­weg. Wenn wir das The­ma jetzt nicht lö­sen, dann wird es in Deutsch­land auf Dau­er kei­ne Nutz­tier­hal­tung mehr ge­ben, die et­was mit Wirt­schaft zu tun hat.

Die­ses In­ter­view ist in der Pro­Agrar 47 er­schie­nen. Die voll­stän­di­ge Aus­ga­be le­sen Sie hier.