Interview | „Politik muss den Weg weisen“
NUTZTIERHALTUNG. Über die Zukunft der Nutztierhaltung in Deutschland spricht der Franz-Josef Holzenkamp, Präsident des Deutschen Raiffeissenverbandes, im Interview mit ProAgrar in Emstek.
Herr Holzenkamp, was sagen Sie Ihrem Sohn und seinen jungen Kollegen, wenn sie sich bei Ihnen Rat holen, ob sie noch in die Nutztierhaltung in Deutschland investieren sollen? Sehen Sie eine Zukunft?
Ja. Allerdings müssen wesentliche Stellschrauben neu justiert werden. Wir brauchen wieder eine Verlässlichkeit für Investitionen. Wer heute neue Ställe nach allen geforderten Kriterien und vor allem nach Anforderungen für mehr Tierschutz baut, der muss sicher sein, dass er in den nächsten 20 bis 25 Jahren dort auch seine Nutztierproduktion durchführen kann. Da ist die Politik gefordert, sich heute mit allen Marktteilnehmern aus Landwirtschaft, Handel und Fleischwirtschaft auf Rahmenbedingungen zu einigen.
Sie sehen also eine Zukunft für die Tierhalter?
Wenn man es schafft, die Bauern abzuholen, vor allem die jüngeren, und einen Weg einschlägt, den sie nachvollziehen können. Wir müssen uns in Deutschland klarmachen, dass wir bei den Anforderungen aus Gesellschaft und Politik und unter dem Gesichtspunkt Kosten den Wettbewerb mit der europäischen Konkurrenz z. B. aus Spanien nicht gewinnen können. Auf dem Weltmarkt mit den kostengünstigen Produktionen aus Nord- und Südamerika können wir ohnehin nur schwer mithalten.
Was muss getan werden?
Wir müssen unseren eigenen Wegsuchen über eine Nutztierstrategie, die kein reiner Massenmarkt ist. Die Initiative Tierwohl hat gezeigt, wie es geht. Sie ist ein Einstieg in eine zukunfts- und tierwohlorientierte Tierhaltung. Sie weiterzuentwickeln, kostet viel, viel Geld. Wir sprechen dabei nicht von Millionen, wir sprechen dabei von Milliarden. Und wir dürfen nicht nur den Lebensmitteleinzelhandel einbeziehen, sondern müssen alle Distributionswege berücksichtigen. Sonst funktioniert das nicht.
Glauben Sie, dass die Vorschläge der von der Bundesregierung berufenen Zukunftskommission Kompetenznetzwerk u. a. mit einer Fleischabgabe umgesetzt werden?
Die Vorschläge liegen jetzt auf dem Tisch. Dass darüber diskutiert werden muss, ist doch ganz klar. Ich bin mit Jochen Borchert, dem Vorsitzenden der Kommission, in gutem Kontakt, aber ich glaube, wir sind noch nicht durch mit dem Thema. Es muss gelingen, den Marktpreis plus x zu realisieren, wenn der Bauer auf mehr Tierwohl umstellt. 40 Cent pro Kilo bzw. 40 Euro pro Schwein ist eine machbare Größe, die der Markt hergeben sollte. Dafür ist es aber notwendig, dass wir in der Breite eine andere Bezahlung bekommen und nicht nur auf die Edelteile schauen.
Woher soll das Geld kommen?
Das kann nur mit einem System wie der ITW funktionieren. Außerdem brauchen wir einen Gesellschaftsvertrag für eine zukunftsfähige Agrarwirtschaft. Die Politik ist gefordert und muss für das Umsteuern nun eine verbindliche Finanzierung gewährleisten. Der zusätzliche Betrag, ob man es nun Abgabe oder Verbrauchssteuer nennt, muss in einen Topf. Das geht nur über den Point of Sale.
Wieso am Point of Sale?
Das wäre das fairste System. Wir brauchen unbedingt einen Weg, der so marktkonform wie nur eben möglich ist. Die Tierhalter haben die Nase voll von der Alimentierung durch den Staat. Jede Bedingung, jedes Kriterium für mehr Tierwohl muss ein Preisschild haben. Nur so werden die Bauern wieder investieren, weil sie dann Sicherheit für ihre Produktionskapazitäten haben.
Und wie wollen Sie das organisieren?
Die Politik muss den Weg weisen und der Staat die Rahmenbedingungen für ein Branchenmodell schaffen. Die Bundesregierung muss nun Farbe bekennen. Wenn nicht, müssen wir als Branche unseren Forderungen Nachdruck verleihen. Dazu braucht es eine gemeinsame Kommunikationsstrategie, die dann auch kraftvoll umgesetzt wird. Ähnlich wie wir das mit der CMA schon hatten.
Damit hätten Sie dann ein System installiert, das allerdings ausschließlich für den Heimatmarkt bestimmt wäre. Wie wollen Sie die Produktion für die internationalen Märkte da herauslösen?
Indem sich die Branche allgemein zu einem Mehr an Tierwohl hin entwickelt, steigt natürlich der allgemeine Standard. Durch eine Abgabe am Point of Sale wird der Export nicht belastet. Im Übrigen steht „Made in Germany“ für Qualität.
Welche Dinge würden Sie außerdem unbedingt geregelt wissen wollen?
Wir müssen uns auf Leitkriterien verständigen und die Zielkonflikte Ökonomie und Ökologie auflösen. Dafür bedarf es ehrlicher Diskussionen, die eine Anpassung von Bau-, Umwelt- und Emissionsrecht beinhalten. Dazu gehört natürlich auch die Abwägung zwischen Tierwohl und Emissionen bei der Forderung nach Außenbereichen im Stallbau. Wir müssen ehrlich sein: Das wird zu höheren Belastungen der Luft führen.
Wie schnell gibt es eine Verständigung für einen neuen Weg in der Tierhaltung?
Wir sind an einem Scheideweg. Wenn wir das Thema jetzt nicht lösen, dann wird es in Deutschland auf Dauer keine Nutztierhaltung mehr geben, die etwas mit Wirtschaft zu tun hat.
Dieses Interview ist in der ProAgrar 47 erschienen. Die vollständige Ausgabe lesen Sie hier.